Wie man es auch nennt - die Hauptsache ist, wir sehen uns und können plaudern...
Im Jahre 723 kam Bonifatius hierher - vor 1.300 Jahren...
Liebes Lieschen,
Du wirst bei den Glaubenskursen das Gefühl nicht los: Ich habe nur Volksschule bis zur achten Klasse gehabt. Ich kenne Universitäten nur von außen. Was muss ich ein dummer Mensch sein, dass ich nicht verstehe, was der Pfarrer sagt oder was dieser oder jene in der fünften oder zweiten Reihe erwidert. Muss ich ein ungläubiger Mensch, eine unfähige Christin, eine unmündiger Katholikin sein.
Theologie gehört in den Bereich der Wissenschaft. Theologie ist nicht Glaube. Theologie beobachtet, untersucht und bewertet das, was Du, die einfältige Gläubige, mit reinem Herzen glaubst. Und da drauf kommt es an. Glauben muss vor der Vernunft verantwortet werden, ohne Frage. Aber Ausgangspunkt für den Glauben ist nicht der Kopf des Theologen, sondern Dein Herz. Also; liebes Lieschen, die Du nur Volksschule während des Krieges genossen hast, die Du nie eine Universität von innen gesehen hast, die Du keine 6000 Bücher in deiner Privatbibliothek stehen hast, mach Dir keine Gedanken was die „Klugen und Weisen dieser Welt“ (Mt 11,25) über deine Herzensregungen sagen. Dass Du, liebes Lieschen, den schlauen Reden der Intellektuellen nicht folgen kannst, spricht nicht gegen, sondern für Dich. Oft genug sind schlaue Reden ein untrüglicher Hinweis auf verdeckten Unglauben, gepflegte Zweifel, getarntes fehlendes Gottvertrauen, ja sogar kaschierten Hass. Maßstab des Glaubens sind nicht die Intellektuellen, sondern sind die Abertausende Lieschen Müllers, wie Du, die „Unmündige“ (Mt 11,25), die brav und treu und fromm jeden Sonntag in die Kirche geht und wohlmöglich sogar Rosenkranz betet. Und ein Letztes: die Irrtumslosigkeit und Richtigkeit in Glaubensfragen (Unfehlbarkeit) sitzt nicht auf der Kathedra der durch die Staatskasse hochbezahlten Professoren und Doktoren teutonischer Universitäten, sondern auf der Kathedra unseres Papstes Franziskus in Rom, der ein bescheidenes Appartement im Gästehaus des Vatikans bewohnt und in der Kantine der Angestellten der Kurie zu Mittag isst.
Daran und an Dich, liebes Lieschen, werde ich bei der Vorbereitung und Durchführung meines nächstens Vortrags denken.
Dein Pfarrer Achim Patton
Die nichtmenschliche Natur (Tiere, Pflanzen, Elementarmächte, Gestirne) verhalten sich immer im Rahmen der Naturgesetze. Sie ist nicht in der Lage sich außerhalb dieser Grenzen zu verhalten (Ein Löwe wird sich nie von Pflanzen ernähren, ein Papagei wird nie außerhalb der Balz sexuell aktiv und die Erde dreht sich doch um die Sonne.). Anders ist es beim Menschen. Neben seiner physischen und psychischen Natur kennt er die geistige Natur. Die geistige Natur eröffnet ihm den Raum der Freiheit, aus der heraus Geschichte wächst (Romano Guardini, „Der unvollständige Mensch und die Macht“). Dieser Raum allerdings kennt auch Gesetze, das Naturrecht oder das Sittengesetz. Der Mensch kennt nicht nur Natürliches und Unnatürliches, sondern auch Gut und Böse. Freiheit ist stets mit Verantwortung verbunden. Freiheit ohne Verantwortung ist Irrsinn. Hier, und nur hier, ist das verortet, was wir das Gewissen nennen. Deshalb führt Papst Benedikt XVI in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag 2011 in die Philosophie einen neuen Begriff ein: Die „Ökologie des Menschen“.
Das Gewissen könnte man auch den Kompass der Seele des Menschen nennen. Das Gewissen zeigt die Richtung des Handelns bzw. des Unterlassens an. Subjektiv erscheint jedem Menschen seine Gewissensentscheidung richtig, selbst bei dem, der ein irriges Gewissen hat. Ein Gewissen kann falsche Handlungsrichtungen anzeigen, wenn es nicht richtig justiert ist. Es funktioniert nicht per se fehlerfrei. Das Gewissen muss gebildet werden, wie ein Gärtner den fruchtbaren Boden erst kultivieren muss, damit brauchbare Pflanzen auf ihm wachsen können. Auch in der Seefahrt müssen Kompasse regelmäßig nachjustiert werden, damit sie tatsächlich die Nordrichtung anzeigen können. Jede Missweisung kann fatale Folgen haben. Wie sich gebildete oder ungebildete Gewissen im realen Leben verhalten können, macht uns C.S. Lewis an einem Beispiel deutlich:
„In zweierlei Beziehung kann die „Maschine“ Mensch falsch funktionieren. Einmal, wenn die einzelnen sich auseinander leben oder aber aneinandergeraten … Zum anderen, wenn im Inneren des Menschen selbst etwas schief läuft, wenn verschiedene Teile des einzelnen (seine Fähigkeiten, seine Wünsche oder Vorstellungen) entweder auseinander streben oder einander beeinträchtigen. Was ich damit meine, wird uns leicht klar, wenn wir uns die Menschheit als eine Schiffsflotte vorstellen, die im Verband fährt. Die Fahrt wird nur dann gut gehen, wenn die Schiffe zum einem nicht kollidieren … und zum anderen, wenn jedes einzelne Schiff auch seetüchtig ist und die Maschinen (einschließlich des Kompass. Anm. Patton) intakt sind. Tatsächlich können wir das eine nicht ohne das andere haben. Wenn die Schiffe ständig miteinander kollidieren, bleiben sie nicht allzu lange seetüchtig. Ist aber das Steuergerät nicht in Ordnung, so werden sich Kollisionen nicht vermeiden lassen … Doch eines haben wir noch nicht berücksichtigt, wir haben noch nicht danach gefragt wohin die Flotte fahren … will … Und wie gut die Flotte auch segeln würde, die ganze Reise wäre ein Misserfolg, wenn die Schiffe in New York anlegen sollten und stattdessen in Kalkutta ankäme … Was nutzt es, den Schiffen die Richtung anzugeben, in die sie steuern müssen, um Kollisionen zu vermeiden, wenn es abgetakelte alte Kähne sind, die sich gar nicht richtig steuern lassen? … Nehme mir noch einmal den Mann an, der behauptet, sein Tun könne nicht falsch sein, sondern ist niemand anderem schadet. Er hat wohl begriffen, dass er die anderen Schiffe der Flotte nicht beschädigen darf; aber er ist ehrlich überzeugt, dass es niemanden etwas angehen, was er mit seinem eigenen Schiff anfängt. Doch ist es nicht ein großer Unterschied, ob das Schiff sein Eigentum ist oder nicht? … Wenn wir also über Ethik und Moral nachdenken wollen, dann müssen wir uns mit allen drei Fragen beschäftigen: den Beziehungen der Menschen untereinander, den Zuständen im Inneren des einzelnen Menschen und den Beziehungen des Menschen zu der Kraft, die ihn erschuf.“ (C.S. Lewis „Pardon, ich bin Christ“).
Das Naturrecht gründet auf Werten, die allen Kulturen, allen Ethnien, allen Religionen, alle Epochen, also den Menschen allgemein selbstverständlich sind. Damit sind Werte gemeint wie Leben, Eigentum, Wahrheit, Pietät, Familie. Diese Werte kommen nicht durch Mehrheitsbeschlüsse in Parlamenten zustande, nicht durch Konditionierung im Kindes- oder Jugendalter oder sind erst recht nicht das Forschungsergebnis einer Ethikkommission. Der Mensch macht diese Werte nicht, er findet sie vor. Diese Werte, die wir auch als das Gute schlechthin bezeichnen können, haben ihren Ursprung in dem absoluten guten. Sie haben ihren Ursprung in Gott. Kein Mensch ist gewissenslos. Jeder hat es, nur gebraucht der eine oder andere es nicht, oder er gebraucht ein „wildes“ Gewissen.
Dem widersprechen die Intellektuellen der westlichen Hemisphäre entschieden, einschließlich eines großen Teils der katholischen Theologen. Sie vertreten die „autonome Moral“. Demnach sind Werte je nach gesellschaftlicher Situation, persönlichen Umständen oder Geschmack veränderlich. Was heute richtig ist, darf morgen falsch sein. So sind die zehn Gebote nichts anderes als das Ergebnis einer „kulturellen Evolution.“ Sie lehnen das Naturrecht und damit die „Ökologie des Menschen“ als katholische Sonderlehre ab. Eine brauchbare Alternative dazu aber sind sie nicht in der Lage vorzulegen.
Der unbedarfte Christ aber spürt intuitiv richtig: das Gewissen ist Gottes Stimme im Herzen eines jeden Menschen, gleich welcher Kultur, Religion, Ethnie oder Epoche. Das Gewissen braucht Pflege, wie der Kompass die routinemäßige Justierung. Gut und Böse sind durchaus zu erkennen auch ohne Universitätsabschluss.
Einen Nachtrag zu meinem letzten Vortrag habe ich zu erbringen. Das Gewissen wird oft bezeichnet als ein gutes oder schlechtes Gefühl. Die Regung des Gemütes aber ist nicht das Gewissen, sondern die Folge einer Gewissenserkenntnis. Das Gewissen ist eine Sache des Geistes. Der Ort des Gewissens ist der Geist, nicht das Gemüt. Eine Gewissensregung liegt dann vor, wenn ich klar erkenne: hier habe ich falsch gehandelt. Hier habe ich richtig gehandelt.
Ein gutes Gefühl hat auch der Motorradfahrer der sich in ein Geschwindigkeitsrausch hineinsteigert und Menschen durch seine Fahrweise in Lebensgefahr bringt. Die Tat ist eindeutig schlecht, das Gefühl gut. Auch der außer eheliche Geschlechtsverkehr fühlt sich gut an. Jeden von uns aber ist klar, dass das gute Gefühl beim außerehelichen Sex nichts darüber aussagt, ob der Ehebruch gut oder schlecht ist. Auch derjenige der Steuern hinterzieht genießt das gute Gefühl reich zu sein. Wäre das Gefühl der „Messapparat“ für Gut und Schlecht, dann wären diese Taten gutes, ehrenhaftes, heroisches, kluges, gottgefälliges Verhalten.
Im Zusammenhang mit der Beichte ist das von großer Bedeutung. Für eine gute Beichte ist es nicht entscheidend, ob ich Krokodilstränen über Sünden vergießen oder nicht. Die Qualität einer guten Beichte zeichnet sich dadurch aus, dass der Beichtende die Klarsicht hat über das, was er falsch gemacht hat.
© St. Peter, Fritzlar