Kontakt


Mädchenrealschule St. Josef
Alte Langgasse 10
63457 Hanau-Großauheim


Tel.: 06181 956613
Fax: 06181 956615

 

Unser Anne-Frank-Baum

Hoffnung für die nächsten 100 Jahre


Schülerinnen der St. Josefschule durften sich zum Jubiläum über einen Anne Frank Baum freuen

   

Als ob Osterferien nicht schon Geschenk genug wären. Nein, die Elternschaft der St. Josefschule in Großauheim setzte am Freitag vor den Ferien noch einen drauf. Der Schulelternbeirat übergab, als Stellvertreter der Eltern an der Mädchenrealschule St. Josef, sein Geschenk zum 100-jährigen Jubiläum der Schule an die Schülerinnen. „Wir wollten keine Gummibärchen oder eine Parkbank schenken“ sagte der Vorsitzende des Schulelternbeirats (SEB) Andreas Grote zu den 310 Schülerinnen der Klassen 5 bis 10, die sich bei frischem, aber sonnigen Wetter auf dem Schulhof versammelt hatten. „Wir wollten etwas Besonderes für Euch, etwas, das zu Euch passt und auch die nächsten 100 Jahre überdauert“. Schnell war klar, dass dies nur der Baum sein konnte, der da mit einer rot-karierten-Schleife mitten auf dem Schulhof stand, umringt von allen Schülerinnen.

 

Der etwa drei Meter hohe und bereits in prachtvoller Blüte stehende Baum hat eine einzigartige Geschichte, seinesgleichen gibt es nur wenige auf der Welt. Seine Geschichte beginnt etwa im Jahr 1940 in Amsterdam. Dort steht eine große Kastanie im Hinterhof eines Hauses, in der Prinsengracht 263, und sieht einem Mädchen zu, wie es fröhlich spielt, wie es lacht und wie es Geschichten in sein Buch aufschreibt. Doch nach einer Weile schaut das Mädchen nur noch vorsichtig hinter schwarzen Vorhängen am Fenster hinaus. Der Baum erlebt, wie der Krieg beginnt, Flugzeuge fliegen, Bomben fallen. Er muss mit ansehen, wie das Mädchen und die ganze Familie von den Nazis abgeholt werden. Nach dem Krieg kommt der Vater alleine zu dem Haus zurück, seine Familie und das Mädchen waren umgebracht worden. Der Name des Mädchens: Anne Frank. Sie ist weltweit bekannt durch ihr Tagebuch, dessen Äußeres nicht zufällig genauso aussieht, wie die Schleife am Baum auf dem Schulhof.

 

Der alte Kastanien-Baum in Amsterdam ist im Jahr 2010 bei einem Sturm umgefallen, er war am Ende über 170 Jahre alt. Leute, die ihn bis zum Schluss gepflegt haben, sammelten seine Kastanien vom Boden auf, pflanzten sie ein und es wuchsen daraus neue kleine Kastanienbäume. Die verschickten sie nach ein paar Jahren an einige Anne-Frank-Schulen und besondere Orte in aller Welt: heute steht jeweils eine dieser kleinen Kastanien zum Beispiel in der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, im Liberty Park direkt gegenüber von Ground Zero in New York und vor dem Capitol in Washington oder seit Kurzem in Venedig. Und jetzt auch in der St. Josefschule in Großauheim.

 

„Anne Franks Baum gilt heute weltweit als Symbol für Hoffnung“, erzählt Andreas Grote den Schülerinnen, die sich in der letzten Schulwoche in einer kleinen Anne Frank-Ausstellung im Schulflur über das Mädchen in ihrem Alter informieren konnten. Der Baum, die Vögel und der Himmel waren das Wenige, das Anne Frank in den zwei Jahren in ihrem Versteck draußen sah, meist durch das Fenster im Dachboden, und gaben ihr Hoffnung, dass der schreckliche Krieg doch einmal zu Ende sein müsse und sie wieder frei ist und das Schöne dort draußen wieder erleben darf. Dreimal schreibt sie über diesen Baum in ihrem Tagebuch.

 

Aber der Baum gilt auch als Symbol dafür, was Menschen anderen antun können, wenn sie sich gegenseitig hassen, nur weil der andere an einen anderen Gott glaubt oder eine Behinderung hat, eine andere Hautfarbe hat, homosexuell ist, aus einem anderen Land kommt oder eben einfach nur anders ist. „Und er gilt als Aufforderung an alle, sofort Nein zu sagen, wenn jemandem ein solches Unrecht geschieht“, zitiert der SEB-Vorsitzende die Holocaust-Überlebende und Frankfurter Ehrenbürgerin Trude Simonsohn.

 

Über glückliche Umstände ist das kleine Kastanienbäumchen in die Hände des SEB gelangt. Eine der Personen, die den alten Baum bis zuletzt gepflegt und seine Kastanien neu eingepflanzt haben, hat der St. Josefschule seinen letzten Setzling überlassen. „Der Baum macht die Geschichte von Anne Frank erfühlbar, Unterricht authentisch“, sagt Andreas Grote. Wenn sich die 9. und 10. Klassen in Geschichte über den Nationalsozialismus unterhalten, können sie sich um den Baum setzen. Oder in Deutsch, wenn sie Auszüge aus Anne Franks Tagebuch lesen, wie sie in der Pubertät Probleme mit ihren Eltern bekommt und wie sie ihre erste Liebe und den ersten Kuss in ihrem Versteck erlebt. Oder in Biologie, wenn Anne Frank in ihrem Tagebuch berichtet, wie sie aus Mädchensicht ihren Körper entdeckt.

 

Auch Jànos Erkens von der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt spricht auf Einladung des SEB an dem Tag zu den Schülerinnen und erklärt, welche Bedeutung Anne Frank heute noch für Jugendliche hat. „Die Tagebuchaufzeichnungen von Anne Frank ermöglichen es vor allem Jugendlichen zu verstehen, wohin eine Ideologie der Ungleichwertigkeit führen konnte“, sagt Erkens. Die Bildungsstätte Anne Frank entwickelt dafür Ausstellungen, Seminare, Workshops, Trainings und Beratungsangebote, um Jugendliche und Erwachsene für die aktive Teilhabe an einer offenen und demokratischen Gesellschaft zu stärken und zu ermutigen, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu hinterfragen. Erkens nimmt eine Spende des SEB mit zur Bildungsstätte, die nur einige hundert Meter vom Geburtshaus der Anne Frank entfernt liegt.

 

Zum Abschluss überreicht der SEB-Vorsitzende den Schulsprecherinnen Lara Keitzl und Inga Kreß stellvertretend für alle Schülerinnen den Baum offiziell und beide setzen ihn an seine Stelle im neu gestalteten Schulgarten zum Einpflanzen. An die Wand gegenüber kommt bis zum Sommer noch eine Tafel. Auf ihr wird neben Anne Franks Gesicht auch ihr wohl bekanntester Spruch aus ihrem Tagebuch stehen: W ie herrlich ist es, dass niemand auch nur einen Moment zu warten braucht, um damit zu beginnen, die Welt ein klein wenig besser zu machen.

 

Autor: A. Grote