Osterpfarrbrief 2019

Impulse zu den Emmaus-Jüngern (Lukas 24,13-35)

„Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete

und uns den Sinn der Schrift erschloss.“

Ein kleiner Junge, der auf Besuch bei seinem Großvater war, fand eine kleine Landschildkröte und ging gleich daran sie zu untersuchen. Im gleichen Moment zog sich die Schildkröte in ihren Panzer zurück und der Junge versuchte vergebens, sie mit einem Stöckchen herauszuholen. Der Großvater hatte ihm zugesehen und hinderte ihn daran, das Tier weiter zu quälen. „Das ist falsch", sagte er, „komm' ich zeig' dir wie man das macht.“ Er nahm die Schildkröte mit ins Haus und setzte sie auf den warmen Kachelofen. In wenigen Minuten wurde das Tier warm, steckte seinen Kopf und seine Füße heraus und kroch auf den Jungen zu. „Menschen sind manchmal wie Schildkröten", sagte der Mann. „Versuche niemals jemanden zu zwingen. Wärme ihn nur mit etwas Güte auf und er wird seinen Panzer verlassen können.“

(Verfasser unbekannt).

Menschen sind manchmal wie Schildkröten, die sich zurückziehen, wenn sie Kummer oder Enttäuschungen erfahren. Wir erleben im Osterevangelium zwei solcher Menschen. Freunde Jesu, die zu seinen Jüngern gehören und deren ganze Lebenshoffnung zerstört ist. Sie hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen würde, und mussten mit ansehen, wie er elend und verlassen am Kreuz hingerichtet wurde und starb. Und mit ihm starben auch ihre Lebensträume.

            Das Ideal einer christlichen Gemeinde

            Die Erzählung von den Emmaus-Jüngern gehört zu den schönsten Ostererzählungen. Sicher auch deshalb, weil der Evangelist Lukas diese Episode so lebendig, so lebensnah erzählt, dass man sich gleichsam mitgenommen fühlt auf den Weg nach Emmaus. Vielleicht aber auch, weil uns die Situation dieser beiden Jünger so nah ist, weil wir das aus eigener Erfahrung kennen: Enttäuschung, Verzweiflung, alle Hoffnungen, alle Träume zerplatzt. Die Jünger versuchen, diese schlimme Vergangenheit hinter sich zu bringen, sie gehen weg von Jerusalem, wo all das passiert ist. Hauptsache weg, Hauptsache neu anfangen, vergessen können. Das Leben muss ja irgendwie weitergehen!

            Der zweite Jünger bin ich

            Die Emmaus Geschichte hat dabei eine doppelte Botschaft. Da ist auf der einen Seite die Erzählung, wie diese beiden Jünger dem auferstandenen Herrn begegnen, wie sie ihn erkennen, wie sie zum Glauben kommen und wie dieser Glaube buchstäblich eine 180-Grad-Wende für ihr Leben bedeutet: Augenblicklich machen sie auf dem Absatz kehrt und kehren nach Jerusalem zurück. Dass es hier nicht um eine bloß symbolische Geschichte geht, sondern dass hier ein ganz konkretes Ereignis geschildert wird, macht der Evangelist deutlich, indem er den einen Jünger sogar mit Namen nennt: Er hieß Kleopas Wahrscheinlich lebten in der Gemeinde, für die Lukas das Evangelium schrieb, noch Menschen, die diesen Kleopas gekannt haben und die wussten: Das ist seine Geschichte. Das hat er wirklich so erlebt!

Der zweite Jünger aber hat keinen Namen. Und das sicher nicht, weil Lukas ihn vergessen hätte. Sondern hier geht es um eine ganz wichtige Aussage. Dieser zweite Jünger, sagt Lukas: Das bist du! In diesem zweiten Jünger soll sich der jeweilige Hörer seines Evangeliums wiederfinden. Denn die Emmaus-Geschichte ist mehr als die ganz persönliche, einmalige Geschichte des Kleopas und seines ungenannten Gefährten. Es ist zugleich die Geschichte jedes Christen. So kommt man als Christ zum Glauben an die Auferstehung, an den auferstandenen Herrn, so kann dieser Glaube unser Leben wirklich verändern!

              Gebrauchsanleitung zum Leben

              An diesem Punkt wird die Geschichte noch einmal auf ganz andere Weise für uns spannend: Sie ist wie eine Gebrauchsanweisung , wie der Glaube unser Leben verwandelt. Man nehme alle seine Sorgen und Probleme, seine Enttäuschungen, alles Leid, alle Krisen und teile sie mit anderen. Man spreche miteinander über das, was einen bedrückt. Dann halte man das Ganze gleichsam ins Licht der Botschaft Gottes: Höre hin, was in den Heiligen Schriften gesagt wird. Und schließlich bringe man das Ganze in die Feier des Brotbrechens ein. Und siehe da: Plötzlich gehen uns die Augen auf und wir erkennen, wie in all dem, was unser Leben oft so schwer macht, Gottes Hoffnung doch am Werk, wie in all dem Christus mit seinem Sieg über das Leid und den Tod gegenwärtig ist. Und mit einem Mal brennt uns das Herz und wir bekommen Kraft, umzukehren und wieder neu aufzubrechen.

               Das Leben miteinander teilen

               Im Grunde zeichnet die Emmaus-Geschichte das Bild einer christlichen Gemeinde, wie sie im Idealfall sein sollte: Wir sind einander als Christen die Wegbegleiter, die die Woche über miteinander auf dem Weg sind, ihre Sorgen und Freuden, ihre Hoffnungen und Nöte, ja ihr Leben miteinander teilen. Am Sonntag versammeln wir uns, um unser Leben gemeinsam im Licht der Frohen Botschaft zu deuten, um uns von Christus selbst fragen zu lassen: „Musste das alles nicht genau so geschehen? Begreift ihr denn nicht, wie in all dem Gott wirklich gegenwärtig und am Werk ist?“ Und im Brechen des Brotes, in der Begegnung mit dem lebendigen Herrn in der Eucharistie wird unser Herz neu entzündet, die Kraft seiner Liebe in uns neu entfacht, damit wir dann wieder aufbrechen können, mit neuer Kraft, mit neuer Hoffnung in eine neue Woche hinein.

              Alles nur ein schönes Ideal? Woran liegt es, wenn wir es nicht so erfahren, wenn uns der Gottesdienst manchmal eher wie eine lästige Pflicht vorkommt, wenn uns nicht wie den Jüngern von Emmaus das Herz brennt? Ich glaube manchmal, dass wir uns zu sehr abschließen. Was wissen wir denn von den Sorgen und Nöten, aber auch Hoffnungen und Freuden der anderen? Und zwar nicht so, wie man im Dorf gewöhnlich alles über alle weiß, sondern weil man direkt miteinander gesprochen hat, seine Sorgen und Nöte, seine Hoffnungen und Freuden miteinander teilt. Was von dem, was uns wirklich bewegt und beschäftigt, teilen wir mit den anderen? „Das geht doch keinen was an, das ist meine Privatsache“, denken wir.

               Wenn die beiden Jünger stumm und verschlossen die 20 Kilometer bis Emmaus neben dem Fremden hergegangen wären oder nur unverfänglich übers Wetter und andere Belanglosigkeiten gesprochen hätten, hätte sich nichts ereignet. Sie wären dem lebendigen Christus nicht begegnet, hätten ihn nicht erkannt. Die Jünger haben dem Fremden ihr Herz geöffnet: Das war die Voraussetzung, dass sich da etwas ereignen konnte.

               Im Grunde müsste eine christliche Gemeinde ein Ort sein, wo Menschen einander ihr Herz öffnen können, vertrauensvoll, ohne Angst, zum Gespött zu werden. Ein Ort, wo man das Leben mit seinen Freuden und Hoffnungen, mit seinen Sorgen und Nöten miteinander teilt und gemeinsam vor Gott trägt. Und wo wir dann gemeinsam in der Feier der Eucharistie die Erfahrung machen, wie Gott mit den Gaben von Brot und Wein auch uns und unser Leben verwandelt, unsere Herzen berührt und heilt; und wie wir hier tatsächlich neu entzündet werden mit dem Feuer einer Hoffnung, die von Christus kommt und die uns Kraft gibt, wieder hinauszugehen in den Alltag. Und zwar anders, als wir gekommen sind; verwandelt durch die Begegnung mit dem auferstandenen Herrn wie die Jünger von Emmaus. Denn das genau ist Ostern.

 

 

Ich wünsche allen Gemeindemitgliedern der Pfarreien

Witzenhausen und Hebenshausen

ein gesegnetes Osterfest 2019

und die Erfahrung des Auferstandenen in ihrem Leben.

 

Ihr

Pfr. Hans-Jürgen Wenner

 

 


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