Die Feier des 1. Advents im Hohen Dom zu Fulda war zugleich der Auftakt für den Synodalen Weg. Im Rahmen der Liturgie haben Bischof Dr. Michael Gerber und Frau Bettina Faber-Ruffing, Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken für das Bistum Fulda, die Kerze des Synodalen Wegs entzündet.
Liebe Schwestern und Brüder!
Irgendwann in diesen Tagen müssen sie losgezogen sein. Irgendwann in diesen Tagen müssen sie aufgebrochen sein, jene Sterndeuter aus dem Orient, von denen das Matthäusevangelium erzählt. Irgendwann in diesen Tagen haben sie sich aufgemacht, den neugeborenen König der Juden zu suchen. Möglicherweise kamen sie aus dem Gebiet von Euphrat und Tigris, also aus dem heutigen Irak. Dort gab es damals bedeutende kulturelle Zentren und damit eine Gesellschaftsschicht, aus der die Sterndeuter hervorgegangen sein könnten. Irgendwann in diesen Tagen müssen aus einer anderen Richtung, von Norden herkommend, auch sie losgezogen sein: Maria und Josef. Sie werden ihre Zeit gebraucht haben, wenn sie größtenteils zu Fuß die Strecke von Galiläa bis zu jener Stadt Bethlehem südlich von Jerusalem zurückgelegt haben.
Sowohl die Sterndeuter als auch Maria und Josef haben auf ihrem Weg Jerusalem passiert. Bei den Sterndeutern ist im Evangelium ausführlich davon die Rede. Doch auch von Galiläa aus konnten Maria und Josef nicht nach Bethlehem kommen, ohne Jerusalem zu queren. Im Weg der Sterndeuter wie im Weg von Maria und Josef lassen die Autoren von Matthäusevangelium und Lukasevangelium damit auch das anklingen, was wir heute als Lesung aus dem Buch Jesaja hören: Die Vision der Völkerwallfahrt auf den Zion. Nicht nur die Kinder Israels – dafür stehen Maria und Josef –, sondern Vertreter der unterschiedlichen Völker brechen auf nach Jerusalem. Nach der Erfahrung von Bedrohung, Zerstörung und Vernichtung, nach dem Exil und der Rückkehr aus der babylonischen Gefangen-schaft entwirft der Autor des zweiten Kapitels des Jesajabuches die Vision eines Weges, den Menschen miteinander gehen und der Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenführt im Licht des Herrn. „Synhodos“ heißt so ein Weg im griechischen Urtext. Gemeint sein kann ein gemeinsam gegangener Weg einer spezifischen Gruppe und zugleich ein Weg, der unterschiedliche Gruppen letztlich zusammenführt.
Beim Lesen der Texte, die in den Evangelien von der Geburt Jesu berichten, fällt also auf: Die Menschen, die Jesus als dem Neugeborenen begegnen, sind alle in Gemeinschaft unterwegs. Neben seinen Eltern und den Sterndeutern sind es die Hirten, die miteinander ihren Weg zur Krippe finden. „Lasst uns nach Bethlehem gehen“ (Lk 2,15) werden sie in der Heiligen Nacht sagen. Und ebenfalls berichten die Sterndeuter dem Herodes: „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen“ (Mt 2,2). Wir können das als einen Hinweis deuten, dass sich der menschgewordene Gott nur in Weggemeinschaft finden lässt. In der Zeit seines öffentlichen Auftretens formt Jesus eine Weggemeinschaft mit den Frauen und Männern, die ihm folgen. Dieser Vorgang, dass sich eine Weggemeinschaft bildet, ist Teil seiner Verkündigung. Die Menschen seiner Weggemeinschaft, seiner Nachfolgegemeinschaft sind seine ersten Adressaten. Zugleich ist die Art und Weise, wie diese Weggemeinschaft unterwegs ist, wie sie Jesus als ihre Mitte begreift, wie sie neu aufmerksam wird auf die Nöte der Welt, selbst Teil der Botschaft Jesu.
Dieser Weg des Miteinanders, dieser „Synhodos“, ist kein gemütlicher Spazierweg, keine besinnliche Morgenwanderung. Dahinter stecken existenzielle Herausforderungen. Bei Jesaja ist es die bedrohte Lage des ganzen Volkes. Das Lukasevangelium schildert uns Maria und Josef, die unter dem Druck der Besatzungsmacht ihre Heimat trotz fortgeschrittener Schwangerschaft verlassen müssen. Die Ausgangslage ist also nicht gerade rosig; und was am Ende des Weges steht, bleibt für das Paar in diesem Moment noch ungewiss.
Kann das ein Hinweis auf unseren Weg als Kirche heute sein? Wenn wir uns mit dem heutigen 1. Advent als katholische Kirche in Deutschland auf einen synodalen Weg begehen, dann geschieht das auch nicht einfach aus freien Stücken. Nein, es sind die zurückliegenden und weiterwirkenden schlimmen Erfahrungen inmitten des Volkes Gottes, die uns zu diesem Schritt gedrängt haben.
Aber – so wenden Kritiker ein – beschäftigt sich unser synodaler Weg nicht allzu einseitig mit den Strukturen des kirchlichen Lebens? Wenn wir die Themen des synodalen Weges isoliert betrachten von den vielfältigen Bemühungen, wie konkret heute Glaubensprozesse neu angestoßen werden können, dann mag dieser Eindruck entstehen. Aber schauen wir uns an, was allein hier in Fulda in den vergangenen drei Monaten geschehen ist. Da gab es die Entscheidung der Bischofskonferenz und parallel dazu des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, sich auf diesen Weg mit diesen eher strukturell orientierten Themen einzulassen. Aber wenig später war unsere Stadt auch der Ort, an dem sich gut 700 Christinnen und Christen getroffen haben, um inspiriert von Pfarrer James Mallon aus Halifax in Kanada über gelingende Wege der Neuevangelisierung zu reflektieren und um gemeinsam zu beten. Keine drei Wochen später hatten wir als Bistum unseren Tag für Pastorale Innovation. 38 Initiativen aus dem ganzen Bistum kamen zusammen, 200 Menschen in Austausch. Der Blick auf die Strukturen einerseits und der Blick auf gelingende Lebensprozesse und deren Grundlagen andererseits bedingen und bereichern sich gegenseitig.
Nun geht es also beim synodalen Weg schwerpunktmäßig um Strukturen. Auch dafür finden wir eine biblische Grundlage: Schauen wir noch einmal auf den Weg der Sterndeuter und der Hirten damals vor 2000 Jahren. Wen haben sie letztendlich am Ziel ihres Weges gefunden? Es ist der menschgewordene Gott, der sich dort von ihnen hat finden lassen. Es ist also kein Gott, der einfach nur Idee oder gar Projektionsfläche war. Nein, Gott lässt sich finden, indem er sich einlässt auf die Struktur unseres Menschseins und damit auch auf die Strukturen unserer Beziehungen. Die Evangelien schildern von der Krippe bis zum Kreuz Jesu sehr deutlich einen Weg, auf dem Jesus hineingenommen wird in die Spannungen menschlichen Lebens. Jesu Weg ist gekennzeichnet von der frühen Flucht mit seinen Eltern, später von den Spannungen mit den vermeintlich Rechtgläubigen. Dieser Weg ist geprägt von der Zuwendung zu denen, die von der Gesellschaft ausgestoßen waren, bis hin zum Unverständnis seiner eigenen Jünger. Der Weg Jesu – es ist ein Weg mitten in den Strukturen, in den Bedingungen unseres menschlichen Lebens.
Das setzt sich fort in der frühen Kirche, bei denjenigen, die dann die „Anhänger des neuen Weges“ genannt werden. Auch hier finden wir Spannungen und Auseinandersetzungen, die der Gebrochenheit der menschlichen Natur geschuldet sind: wechselseitiges Unverständnis, Besserwisserei, Streit, Zerwürfnis. Dem Weg des menschgewordenen Gottes zu folgen bedeutet also auch, das ernst zu nehmen und kritisch in den Blick zu nehmen, was als menschliche Bedingtheit, was als menschliche Grenzerfahrung, was an Verletzungen durch diese Grenzerfahrungen unseren Weg als Kirche kennzeichnet. Freilich gilt es, das nicht nur kritisch in den Blick zu nehmen, sondern davon ausgehend auch Entscheidungen zu treffen und zu handeln.
Schauen wir noch einmal auf den Weg der Sterndeuter. Lernen wir von ihrem Weg: In welcher Haltung können wir unseren Weg gehen? In welcher Haltung können wir unseren persönlichen Weg gehen jetzt in den Wochen des Advents hin zum Weihnachtsfest, zum menschgewordenen Gott in der Krippe? In welcher Haltung können wir unseren Weg gehen als Kirche im synodalen Weg der kommenden Monate und Jahre?
Ein Gedanke, der mich in diesen Tagen im Blick auf den Weg der Sterndeuter bewegt, ist folgender: Die Sterndeuter kommen ja zunächst nach Jerusalem. Dort begegnen sie König Herodes und seinen Beratern. Ohne es zu durchschauen, suchen die Sterndeuter genau bei denjenigen Rat, die ihnen gegenüber skeptisch und dem neugeborenen Kind äußerst feindselig gegenüberstehen. Und doch – darin liegt die Paradoxie dieser Geschichte – würden die Sterndeuter ihren Weg nicht finden ohne diesen Hinweis des Herodes.
Wem traue ich zu, dass er oder sie mir etwas zu sagen hat? Haben nur diejenigen mir etwas zu sagen, die die gleiche Gesinnung, die gleiche Weltanschauung haben wie ich? Oder verweist der Weg der Sterndeuter damals und verweist der synodale Weg der Kirche heute auch auf das Hineinwachsen in eine Haltung, nämlich: Auch derjenige und diejenige, die so ganz anders denken als ich, die möglicherweise meinen Überzeugungen sehr ablehnend gegenüber stehen, auch diese haben mir gegebenenfalls etwas sehr Wichtiges zu sagen, ohne das für mich ein nächster Schritt nicht möglich ist.
Der Advent kann für uns hier zu einer Zeit des Übens werden: Wo höre ich aufmerksam auch auf die Stimmen derer, die so anders denken und die von so anderen Überzeugungen geprägt sind als ich? Wo lese ich bewusst einmal in einer Zeitung, einem Internetportal, das tendenziell eine andere Meinung, eine andere Weltanschauung vertritt als die meine? Wie reagiere ich in einem Gespräch, bei dem ich mit einer anderen Meinung konfrontiert werde? Gehe ich gleich auf Abwehr und auf Gegenreaktion? Oder frage ich nach: Welchen Weg hat mein Gegenüber zurückgelegt? Welche Erfahrungen haben sie oder ihn dazu geführt, jetzt diese Position zu vertreten?
Das bedeutet ja noch nicht gleich, dass der Weg meines Gegenübers mein Weg werden muss – oder seine und ihre Position meine Überzeugung werden muss. Aber denken wir an die Sterndeuter: Ohne den durchaus schwierigen Dialog in Jerusalem hätten sie ihren Weg nach Bethlehem nicht gefunden.
Ausdrücklich ist bei Matthäus davon die Rede, dass nach dem Gespräch im Palast des Herodes sich der Stern wieder zeigt (vgl. Mt 1,9f). Für mich ist das ein Hinweis darauf, dass dieser Dialog mit dem Anderen und Andersdenkenden beizeiten notwendig ist, um selbst den eigenen Stern wieder in den Blick zu bekommen. Er ist notwendig, um nicht irgendeinem Sternchen zu folgen, sondern um den Stern in den Blick zu bekommen, den Gott über meinem Horizont aufgehen lässt.
Vielleicht hält Gott in diesem Advent einen eigenen Adventskalender für uns bereit. Fragen wir uns am Abend eines Tages: Gab es heute eine Begegnung, einen Moment, der mich vielleicht im ersten Augenblick irritiert hat, aber mir möglicherweise helfen kann, den Stern meines Lebens und damit den Weg zu Jesus besser in den Blick zu bekommen?
Der Blick auf den Weg der Weisen aus dem Morgenland, die in jenen Wochen vor dem Ereignis der Menschwerdung aus ihrer Heimat aufgebrochen sind, er endet auch mit der Einsicht: Aus eigener Kraft heraus finden wir diesen Weg nicht. Das gilt für unsere persönlichen Wege und das gilt für unseren Weg als Kirche, gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen. Über das neugeborene Kind wird der greise Simeon im Tempel wenig später sprechen, dass dieses Kind das „Licht zur Erleuchtung der Heiden“ (Lk 2,32) ist. Wenn wir jetzt hier im Dom wie in allen Bischofskirchen Deutschlands die Kerze für den synodalen Weg entzünden, dann mit der Einsicht und der Bitte, dass er, Christus, es ist, der unseren Weg erleuchtet – und uns so manches Zeichen und so manchen Lichtblick gewährt, der nicht in unseren Plänen steht.
Gehen wir zusammen unseren Weg in der Haltung, die Jesaja im Text der heutigen Lesung beschreibt: „Kommt, wir wollen unsere Wege gehen im Licht des Herrn“ (Jes 2,5).
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