Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt, und Thomas
war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre
Mitte und sagte: „Friede sei mit euch!“ Dann sagte er zu Thomas: „Streck
deinen Finger aus - hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und
leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“
Thomas antwortete ihm: „Mein Herr und mein Gott!“ Jesus sagte zu ihm:
„Weil du mich gesehen hast, glaubst du.
Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben.“
(Joh 20,26-29)
Das Titelbild zeigt den Tabernakel der Erlöserkirche mit den Worten des gläubigen Bekenntnisses des Apostels Thomas:
„MEIN HERR UND MEIN GOTT“
„Der ungläubige Thomas“ ist zum Sprichwort geworden. Zu Unrecht! Denn der Apostel Thomas gehört zu den ganz großen Glaubensgestalten der Christenheit.
Und außerdem: Wem steht es zu, andere als ungläubig zu bezeichnen? Trifft nicht auch hier das Jesuswort zu: „Richtet nicht, damit ihr nicht
gerichtet werdet!“?
Wer
ist denn selber im Glauben schon vollendet, dass er sich so ein Urteil
anmaßen kann?! Wir sind doch alle, solange wir leben, auf dem Weg des
Glaubens und nicht am Ziel, in der Vollendung des Glaubens. Und wenn
sich jemand selber schon für so fromm hält, lässt er dann nicht Liebe
vermissen, wenn er andere aburteilt? Glaube ohne Liebe ist tot.
Sind Glaubenszweifel so verwerflich?
Geht nicht jeder Glaubende manchmal durch Glaubenszweifel hindurch?
Niemand ist vor Glaubenszweifeln gefeit.
Ist
es denn schändlich, schlecht oder gar verdammenswert, wenn jemand so
wie Thomas Fragen des Glaubens prüft und nicht einfach unkritisch
übernimmt, was ihm von anderen an Überzeugungen vorgesetzt wird?
Ist
es denn gleich zu tadeln, wenn jemand „sehen“ und selber Erfahrungen
machen will, bevor er wirklich glauben kann? Glaube lässt sich weder
erzwingen noch verordnen noch durch einen Willensakt herbeiführen.
Glaubensgehorsam ist schon so oft missverstanden worden und schon so oft
missverständlich und grausam von Menschen eingefordert und verlangt
worden. Dogmatismus im Sinne von „das hast du einfach (blind) zu
glauben“ kann sich nicht auf Jesus von Nazareth berufen und ist daher
nicht christlich.
Wie liebevoll ist Jesus mit Petrus umgegangen,
obwohl dieser ihn verleugnet hat! Wie liebevoll ist der auferstandene
Christus den Aposteln begegnet, obwohl sie alle untreu geworden und
Jesus auf seinem Kreuzweg davongelaufen sind! Und wie liebevoll und
behutsam ist Jesus auf Thomas zugegangen, obwohl er der
Auferstehungsbotschaft der anderen Apostel nicht geglaubt hat!
Glauben
können ist doch letztlich Geschenk. Und Glauben können beruht auf
Erfahrungen. Auch der Glaube unterliegt so wie alles im Leben einem
Wachstums- und Reifungsprozess. Niemand kommt mit vollendetem Glauben
zur Welt. Gott schenkt uns Zeit, unsere Lebenszeit, zu lernen - auch in
Sachen des Glaubens. Zum Lernen gehört Fehler machen dürfen, Irrtümer
begehen dürfen, kritisch hinterfragen dürfen, zweifeln und bezweifeln
dürfen. Das ist normal!
In der Stelle im Johannes-Evangelium, wird
Thomas als einer der Zwölf bezeichnet. Diese Bezeichnung lässt man sehr
leicht außer Acht und liest drüber hinweg. Sie ist aber äußerst
wesentlich. Denn sie besagt: Thomas gehörte trotz seiner anfänglichen
Glaubenszweifel zum Apostelkreis. Er stand mit seinen Zweifeln nicht
außerhalb des Kreises. Wegen seiner Zweifel wurden ihm von den anderen
keine Vorwürfe gemacht, wurde er nicht verurteilt, wegen seiner Zweifel
gingen die anderen zu ihm nicht auf Distanz und schlossen ihn nicht aus
ihrem Kreis aus. Das ist der „Geist Jesu“.
Wenn wir vom ungläubigen
Apostel Thomas sprechen, so hat dies in der Tradition zumeist einen
schlechten Beigeschmack. Irgendwie kommt er bei uns "nicht gut weg". Und
doch müssen wir sehen, dass es viele unterschiedliche Personen im
Evangelium gibt, die nicht so einfach zum Glauben kommen können. Auch
für sie ist der Weg dorthin nicht einfach und bedarf der "Gabe zum
Glauben" durch den Auferstandenen selbst.
Ich denke, Thomas ist im
Evangelium vielleicht nur einer unter vielen, die ihren ganz
persönlichen Zugang zum Glauben an die Auferstehung suchen. Aber einer,
in dem wir uns wiederfinden können. Wie oft hätten denn nicht auch wir
gerne ein Zeichen, das uns für unseren Glauben Gewissheit geben könnte,
es uns einfacher machen würde: in Momenten der Trauer, der Enttäuschung,
des persönlichen Scheiterns...
Und so sind wir doch in guter Gemeinschaft mit Thomas,
denn
es gibt Mut zu sehen, dass auch er in seinem Glauben wachsen musste und
letztlich doch das Glaubensbekenntnis "Mein Herr und mein Gott!"
sprechen durfte.
Damit Menschen heute zum Glauben finden, benötigt
Jesus Christus uns, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht! Die Zeiten,
von denen das Evangelium berichtet, sind schließlich vorbei. Die Zeiten,
in denen Jesus Christus leibhaftig durch verschlossene Türen ging und
seine Wunden berühren ließ, sind - so leid es uns auch tun mag - ein für
allemal vorüber. Auf diese Art und Weise wird heute kaum jemand mehr
zum Glauben finden. Anderen Menschen einen Weg zum Glauben zu zeigen,
den Thomas, der heute nicht glauben kann, zu überzeugen, das ist zu
unserer Aufgabe geworden.
Wenn heute jemand als Christ in dieser Welt
lebt, in einer Welt, die alles andere als christlich ist, dann gibt das
nicht nur zu denken. Wer so lebt, der ist eine Chance für alle, die
selbst nicht mehr glauben können - eine Chance für den modernen Thomas,
eine Chance zu spüren, dass da an diesem Jesus Christus etwas dran sein
könnte.
Christus geht heute nicht mehr leibhaftig durch verschlossene
Türen, um Menschen von sich zu überzeugen. Damit andere an ihn glauben
können, benötigt er heute Menschen, Menschen, die mit ihrem Leben
Zeugnis geben für diesen Jesus Christus, die in ihrem Leben ganz
praktisch verwirklichen, was Christsein heißt – mit allen Konsequenzen,
Menschen, die ganz einfach als Christen leben. Denn solch ein Leben, das
überzeugt...
Der Geist Jesu ist für jede Pfarrgemeinde, jede
Gemeinschaft, die sich christlich nennt, und für die Kirche insgesamt
die Grundlage ihres Lebens und Wirkens. Eine Gemeinschaft, die sich
formt im „Geiste“ Jesu, schließt niemanden aus. Sie bietet allen Heimat -
Anfängern im Glauben ebenso, Menschen mit Glaubenszweifeln ebenso. Sie
begleitet Menschen behutsam auf ihrem Glaubensweg. Sie hält es aus, dass
Menschen die Botschaft des Glaubens kritisch prüfen und hinterfragen.
In ihr werden Menschen nicht bedrängt, sondern finden weiten Raum und
werden liebevoll und geduldig gefördert, im Glauben langsam zu wachsen
und zu reifen.
Ich wünsche Ihnen und Ihren Familienangehörigen
den Geist des Auferstandenen, der uns, wie den Jüngern Jesu, den Mut und
die Kraft gibt, die Botschaft des Evangeliums glaubwürdig zu leben und
zu bezeugen.
Eine gesegnete Osterzeit
Ihr
Pfarrer Hans-Jürgen Wenner
Gleichbleibende Gottesdienste in unserer Gemeinde
Sonntag
10.30 Uhr Hochamt der Gemeinde
Mittwoch
18.00 Uhr Heilige Messe
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